Duft

Byredo – Unnamed

geschrieben von Marina alias ME

 

Um es gleich einmal vorwegzunehmen: Mit klassischen Duftbeschreibungen kann ich nichts anfangen. Basis-, Herz- und Kopfnoten, fremdklingende und mir völlig unbekannte Ingredienzen – daraus kann ich nichts ablesen. Zu theoretisch, zu abstrakt. Ich bin aber auch kein Parfümeur und Parfums sind für mich keine Wissenschaft. Ich will einen Duft nicht verstehen, ich will ihn erleben.

Wen wundert es also, dass mich die Kreationen von Byredo Parfums in ihren Bann ziehen. Die Idee von Ben Gorham, seine Erinnerungen und Erlebnisse in Düfte zu packen, begeisterte mich von dem Augenblick an, als ich gewissermaßen zum ersten Mal meine Nase in seine Angelegenheiten steckte. Auf meiner olfaktorischen Reise durch seine Geschichten begegnete mir die Exotik des einstigen Paris der Zwanzigerjahre, das Abenteuer des Zigeunerlebens, der Zauber des Orients, die Königin der Gefühle, ein außergewöhnlicher Mann, das kostbarste Gewürz der Welt, ein begnadeter Literat, eine scheinbar unschuldige Schönheit, das Glücksgefühl des Frühlings, ein atemberaubender Sonnenuntergang und die reinste aller Farbe. Gorhams Kollektion gleicht einer autobiografischen Bibliothek, bestückt mit Parfüms statt Büchern. Allein die “Titel” seiner Werke klingen mehr als vielversprechend. Sie beflügeln die Phantasie und lassen bereits erahnen, was sich hinter der Fassade eines jeden einzelnen Flakons verbirgt. Auf diese Weise nähern wir uns jeder seiner Kreationen mit einer gewissen Voreingenommenheit und Erwartungshaltung, subjektiv geprägt durch ihren Namen.

Umso gespannter war ich auf den neuesten Duft von Byredo, eine limitierte Edition zur Feier des 10- jährigen Jubiläums meiner Lieblingsmarke. Sein Name? UNNAMED – das Parfum ohne Namen. Darunter konnte ich mir nun so gar nichts vorstellen.

Heute halte ich nun endlich den Flakon mit dem weißen Etikett in meinen Händen und zum ersten Mal habe ich das dringende Bedürfnis, mir vor dem ersten “Hautkontakt” tatsächlich die zugehörige Duftpyramide mit ihren Ingredienzen zu Gemüte zu führen: Moose und Balsamtanne als Basis, Iriswurzel und spritzige Veilchen im Herzen, Gin Akkorde und rosa Pfeffer in den Kopfnoten. Ich bin der festen Überzeugung, bei meinem ersten Kennenlernen mit UNNAMED auf all diese Zutaten zu stoßen.

Ich sprühe einen kleiner Spritzer auf mein Handgelenk und schnuppere vorsichtig daran. Und ich rieche… Ja, was eigentlich? Ich bin mir nicht sicher. Auf jeden Fall ist es ein leichter Duft, fast pudrig. Er riecht ein bisschen nach frischen Früchten und Blüten. Sind das vielleicht die Veilchen?! Ich habe keine Ahnung. Und wo sind die Moose? Die Balsamtanne? Die Gin Akkorde? Der rosa Pfeffer? Meine Nase kann sie nicht wirklich ausfindig machen. Sollte ich gar zu den Glücklichen gehören, welche die Zutaten von UNNAMED nicht zu identifizieren vermögen und sich stattdessen einfach von ihrem persönlichen olfaktorischen Gedächtnis samt der damit verbundenen einzigartigen Assoziationen leiten lassen können? Offensichtlich. Also das Ganze noch einmal von Vorne.

Ich schließe die Augen, lasse meinen Sinnen und meinen Gedanken einfach freien Lauf. Und siehe da, ein Hauch des Erkennens! Der namenlose Duft ist nicht länger ein Fremder und ein Buch mit scheinbar leeren Seiten fängt an, sich zu füllen…

“Die Sonne strahlt am Himmel, es ist kein Wölkchen zu sehen. Ich sitze zusammen mit meiner besten Freundin am Ufer eines Badesees. Genaugenommen ist es eher ein Badeweiher… Wir lachen und prosten uns zu, mit einem billigen Fusel Marke Tetra Pack aus dem nächsten Dorfladen. Es war im Sommer ́99 und wir philosophierten darüber, was wir noch alles erleben wollten. Die Welt und das Leben, sie lagen uns zu Füßen und warteten nur darauf, von uns entdeckt zu werden.

Ich blättere weiter. Und sehe mich auf dem Rücksitz einer 125er Virago, braungebrannt und mit fliegenden Haaren im Wind. Den ersten Abschluss in der Tasche und auf dem Weg in einen neuen Lebensabschnitt im neuen Jahrtausend. Ich sehe mich glücklich und zufrieden am Strand von La Palma liegen und dem Wellenspiel des Atlantiks zuschauen, zusammen mit einem viel zu starken Martini Cocktail und einem Sonnenbrand, der diesen Namen wirklich verdient hat. Ich sehe mich lauthals ‘Knockin’ on Heaven’s Door’ schmettern, während ich in meiner knallroten 50-PS Luxuskarosse ohne Servolenkung über die Landstraßen kurve, dem Sonnenuntergang entgegen. Ich sehe mich im Schatten unter dem Apfelbaum meine Lieblingsbücher lesen, den obligatorischen Schokocappuccino auf dem klapprigen Gartenstuhl zu meiner Rechten. Ich sehe mich riesige Portionen Pistazieneis verdrücken, den großen Wagen am Sternenhimmel beobachten und auf dem Rücken meines Pferdes in den frühen Morgenstunden über die Wiesen galoppieren. Und ich sehe mich mit meiner großen Liebe durch den Wald spazieren, die Absätze meiner Stiefel versinken im weichen Boden…”

Und plötzlich sind sie da! Die Noten der Moose, der Tanne, der Veilchen, des Gins… omnipräsent in MEINER Geschichte. Wer hätte das gedacht. Und mit einem Mal weiß ich, welche Buchstaben ich auf das weiße Etikett des Flakons kleben werde, UNNAMED ist nicht länger UNNAMED – It’s ME!

Dass diese beiden Buchstaben zufälligerweise tatsächlich auch noch meine eigenen Initialen sind, das macht meine Geschichte zu diesem Parfüm perfekt.

Ich bin schon gespannt, welche Geschichte euch dieses Parfum erzählt oder wem ihr durch UNNAMED selbst etwas erzählen wollt…

 

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